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Barrierefreiheit auf Knopfdruck – möglich mit KI?

Barrierefreiheit auf Knopfdruck – geht das, was KI-Anbieter versprechen, wirklich?

Künstliche Intelligenz war dieses Jahr in aller Munde. Ein Wunder, dass es nicht zum Wort des Jahres gekürt wurde. Immerhin auf Platz 4 hat es der „KI-Boom” geschafft.* Dieser Boom hat nicht Halt gemacht vor der Barrierefreiheit – zum Glück! Denn tatsächlich kann KI schon einiges leisten, was zu Verbesserungen für Menschen mit Behinderung führt.

Gutes Beispiel von KI und Barrierefreiheit

Beispiel: Be my eyes. Die App gibt es schon einige Jahre und bisher funktionierte sie so:

Ein blinder Mensch hat zwei Konservendosen vor sich und fragt sich, welche von beiden die Tomaten beinhaltet und welche die Kokosmilch. Er öffnet die App, lässt sich mit einem sehenden Menschen verbinden, der die App installiert hat, und zeigt diesem die beiden Dosen. Die sehende Person sagt: „Tomaten links, Kokosmilch rechts” und schon kann der blinde Mensch weiterkochen.

Mit Hilfe von KI können blinde Menschen nun die gleichen Infos bekommen, aber ohne sehende Menschen einzubinden – 24/7 und relativ zuverlässig. (Wobei ich von blinden Menschen gehört habe, dass sie das tatsächlich eher für die Tomaten-Kokosmilch-Kategorie nutzen würden und noch nicht für Medikamente oder ähnliches…)

KI und Leichte Sprache

Auch im Bereich der Leichten Sprache wird seit diesem Jahr KI eingesetzt. Prinzipiell sehe ich (und viele andere Übersetzerinnen) das positiv, denn so viele Texte, wie wir uns eigentlich in Leichter Sprache wünschen würden, kriegen wir gar nicht hin. Zeitkritische Infos sind sowieso schwierig, denn der bisherige Übersetzungsprozess ist bei Leichter Sprache relativ langwierig – mit einer Übersetzung innerhalb von Stunden, geschweige denn Minuten, darf man nicht rechnen.

ABER – und jetzt kommt das große ABER – ganz so einfach, wie einige Anbieter das propagieren („Leichte Sprache auf Knopfdruck”) ist es dann leider doch nicht, und zwar unter anderem aus folgenden Gründen:

  • Texte in Leichter Sprache sind in der Regel keine 1:1-Übersetzungen vom Ausgangstext. Inhalt wird ausgewählt, evtl. wird weiter ausgeholt / Erklärungen ergänzt, die Reihenfolge wird verändert, u.v.m. All das tut der Übersetzer mit Blick auf unter anderem das verwendete Medium, den Zweck der Infos und die Aufmerksamkeitsspanne der Leserinnen.
  • Texte in Leichter Sprache unterliegen nicht nur inhaltlichen Regeln, sondern auch gestalterischen – denn Lesen ist ja eine der Herausforderungen der Zielgruppe. Dazu gehört neben der passenden Schrift auch Bilder, die Orientierung schaffen und die Verständlichkeit auch für schlechte Leser ermöglichen sollen.
  • Texte in Leichter Sprache werden nie von „Muttersprachlern” verfasst – und sollten deshalb zumindest von ihnen gegengelesen werden. Beim sogenannten „Prüfen” kommen Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung zu Wort und geben klipp und klar Rückmeldung, ob ein Text wirklich leicht verständlich ist oder nicht.

Und so kommt z.B. auch die Bundesfachstelle Barrierefreiheit zu dem Schluss, dass die aktuellen KI-Tools für Leichte Sprache zwar diejenigen unterstützen können, die sich mit Leichter Sprache auskennen (i.d.R. Übersetzerinnen und Übersetzer), aber noch nicht für den Einsatz von Jedermann geeignet sind – und eben nicht „auf Knopfdruck” funktionieren.
Lesen Sie hier die Einschätzung mit Hintergrundinfos
Lesen Sie hier einen weiteren Artikel mit Vor- und Nachteilen von KI für Leichte Sprache

Und wenn Sie selbst mal ganz ehrlich sind: Welchen KI-generierten Text können Sie aktuell denn wirklich 1:1 für Ihre Arbeit, Ihr Marketing, etc. übernehmen, ohne vorher nochmal mit Ihrem Fachwissen einen Blick darauf geworfen zu haben? Und wenn das bei den Texten in Standard-Sprache noch nicht zu 100 % zuverlässig funktioniert – wieso sollten die Ergebnisse dann genau in einem Bereich, für den man bisher immer Experten gebraucht hat, besser sein?

Auch Internetseiten werden nicht auf Knopfdruck barrierefrei

Einen ähnlichen Anspruch wie KI-Tools für Leichte Sprache erheben auch sogenannten Overlay-Tools im Zusammenhang mit barrierefreien Internetseiten. Manche Anbieter versprechen, dass man sich die Mühe, eine ganze Internetseite barrierefrei zu programmieren, sparen kann, wenn man eine Sidebar mit bestimmten Optionen einblendet wie z.B. Kontrast und Vergrößerung. Auch hier kommen Experten zu dem Schluss: Diese Tools haben sicherlich ihre Berechtigung, ersetzen aber nicht die barrierefrei programmierte Seite.
Hier geht’s zum gemeinsamen Statement der Überwachungsstellen des Bundes und der Länder für Barrierefreiheit von Informationstechnik

Und so ist auch am Ende dieses (was die KI-Entwicklung angeht) rasanten Jahre nicht alles Gold, was glänzt, und Barrierefreiheit (leider!) noch nicht auf Knopfdruck zu erreichen…

* Auf Platz 3 ist übrigens ein Wort gelandet, dass ich im Zusammenhang der barrierefreien Kommunikation mindestens ebenso spannend finde: „leseunfähig”. Lesen Sie dazu gerne meinen Beitrag auf Linked-In.

WC-Schild mit Piktogrammen für Menschen im Rollstuhl, Männer, Frauen, beide Geschlechter, usw.

Barrierefreiheit und Gendern

WC-Schild mit Piktogrammen für Menschen im Rollstuhl, Männer, Frauen, beide Geschlechter, usw.

Barrierefreiheit und Gendern – schließt sich das nicht gegenseitig aus?

Für die einen ist es ein leidiges Thema, das die Sprache verkompliziert, andere sehen darin die ultimative Lösung zur Gleichstellung aller Menschen – kaum jemand kommt aktuell am Thema Gendern vorbei. Im Bereich der Barrierefreiheit wird munter gegendert, denn man möchte hier Zeichen setzen. Alle Menschen sollen angesprochen werden, sich angesprochen fühlen – egal ob mit oder ohne Behinderung, egal welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen (bzw. ob überhaupt). Denn wir können ja nicht für die eine Minderheit kämpfen (indem wir Barrieren beseitigen) und dabei andere Minderheiten ausschließen…

Deshalb ist grundsätzlich also schon einmal klar: Wir sollten gendern. Aber ist denn das Gendern an sich überhaupt barrierefrei oder baut zum Beispiel ein Satzzeichen mitten im Wort nicht eher eine neue Barrierefrei auf?

Warum sollte Gendern ein Problem für die Barrierefreiheit sein?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns ansehen, wie aktuell gegendert wird.

  • Indem nicht nur die männliche Form eines Wortes, sondern auch die weibliche genannt wird. Zum Beispiel im Vorwort einer Broschüre: “Liebe Leserinnen und Leser, …”
  • Mit Hilfe von Wörtern, die kein Geschlecht ausdrücken, wie zum Beispiel “Team” statt “Mitarbeiter*innen”, “Mensch” statt “Mann/Frau”. In diesem Zusammenhang werden aktuell aber auch ganz neue Wörter geschöpft, die es vor wenigen Jahren noch gar nicht gab. Oft nutzt man damit eine Partizip-Form: Lesende, Teilnehmende, Studierende usw.
  • Mit Hilfe von Sonderzeichen, die vor die weibliche Endung eines Wortes gestellt werden. Beispiele: Leser*innen, Leser:innen, Leser_innen, LeserInnen.

Und für wen sollten diese Möglichkeiten zu gendern ein Problem sein?

  • Menschen mit Leseschwäche bevorzugen kurze Wörter – im Beispiel der Beidnennung der Geschlechter “Liebe Leserinnen und Leser” steht das längere Wort allerdings an erster Stelle.
  • Menschen mit Lernbehinderung, aber auch viele weitere Menschen, verstehen neue Wörter nicht. Es kursiert die Geschichte, dass zwei Menschen auf einem Gehweg laufen und auf ein Schild stoßen – einer liest und fragt sich: Wer sollen denn jetzt schon wieder “Gehwegende” sein? Der andere stellt klar: Das ist nicht gegendert, es ist schlicht und einfach das Gehweg-Ende…
  • Vorleseprogramme, die zum Beispiel für blinde Menschen Texte in Worte fassen, haben Schwierigkeiten mit Sonderzeichen mitten im Wort. Sie machen evtl. unnötige Pausen oder lesen das Zeichen vor – beides stört den Lesefluss.

Gendern, ja – aber verständlich!

Es kommt also darauf an, WIE gegendert wird. Welche Möglichkeiten bleiben mir denn, wenn ich möglichst verständlich gendern möchte?

Hier kommt eine aktuelle Studie von CAPITO ins Spiel. Untersucht wurde die Verständlichkeit beim Gendern nach verschiedenen Methoden, und zwar auf Basis von drei verschiedenen Personengruppen: Menschen, die die einfachste Variante des Deutschen benötigen, also Leichte Sprache (oder Sprachniveau A1). Menschen, für die es etwas schwieriger sein darf (Sprachniveau A2) und Menschen, die einfache Sprache benötigen (Sprachniveau B1).

Laut der Studie bleiben folgende Möglichkeiten zu gendern:

  • Nennen Sie beide Geschlechter – in der Leichten Sprache allerdings die männliche (kürzere) Form zuerst. Beispiel: “Liebe Leser und Leserinnen, …”
  • Nutzen Sie neutrale Begriffe, allerdings bekannte! Zum Beispiel ist “Team” oder “Mensch” bekannt, “Studierende” o.ä. nicht!
  • Wenn Sie mit Sonderzeichen gendern möchten, dann mit dem Gender-Stern *, denn dieser wird von Menschen mit Sprachniveau A2 und B1 verstanden – für Menschen mit Sprachniveau A1 bräuchte es eine Erklärung des Sterns, aber dann ginge es auch für sie. Und Vorleseprogramme? Werden nach und nach angepasst. In den meisten Programmen wird der Gender-Stern schon gut vorgelesen – bzw. haben sich blinde Menschen, so wie Sehende, wohl schnell an den Stern mitten im Wort gewöhnt, wie Heiko Kunert, der Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehinderten-Verbands Hamburg in seinem Blog kommentiert.

In diesem Sinne:

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, liebe Leserinnen und Leser / liebe Leser und Leserinnen / liebe Leser*innen!

Zur Gender-Studie von Capito

Zur Einschätzung des Gender-Sterns von Heiko Kunert

Einige Menschen sitzen vergnügt auf der Mauer einer Brücke am Strand. André Scholz dabei, ein Rollator steht an der Seite.

Der Reisemaulwurf

Der Reisemaulwurf – Reisen mit / trotz Pflegebedürftigkeit

André Scholz, ein Mann mitteren Alters mit kurzem Bart und Brille

Ein Mann, eine Vision: Reisen für pflegebedürftige Menschen – das ist es, was André Scholz mit seinem Verein Reisemaulwurf e.V. ermöglichen möchte.

André Scholz ist einer der MosGiTo-Partner, die sich aus vollstem Herzen heraus für Barrierefreiheit einsetzen. In der Kategorie „Weggefährten” gibt MosGiTo Einblicke in die Arbeit dieser Partner.

Herr Scholz, lieber André, kannst Du uns in 5 Sätzen erklären, was der Reisemaulwurf e.V. macht?

Wir kümmern uns deutschlandweit um Auszeit und Erholung für hilfe- und pflegebedürftige Menschen sowie ihre pflegenden Angehörigen. Wir beraten kostenlos, insbesondere telefonisch, im Berliner Raum aber auch persönlich, zum individuellen Reiseerlebnis. Doch der Bedarf für unser Angebot ist enorm und wächst – nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie hoch der Druck auf der Pflege lastet. Erst, wenn „Reisen für alle” in der Mitte der Gesellschaft angekommen und selbstverständlich ist, ist die soziale Teilhabe gelungen. Gleichzeitig setzt der Verein auch auf der Angebotsseite an und animiert die Tourismusbranche, mehr Reiseangebote zu schaffen, die für pflegebedürftige Menschen geeignet sind.

Kurz zum Hintergrund: Wie kamst Du auf die Idee, den Reisemaulwurf zu gründen?

Tatsächlich durch jahrzehntelange private und berufliche Erfahrung: Ich bin selbst examinierter Altenpfleger und habe viele Jahre als Fachkraft im ambulanten und stationären Altenpflegebereich, Pflegeberater und Case Manager gearbeitet. Auch hatten wir jahrelang eine Pflegesituation in der eigenen Familie.

Dabei musste ich immer wieder feststellen, dass es kaum Angebote und wenig Beratung zum Thema Auszeit und Erholung für pflegebedürftige Menschen und deren pflegende Angehörige gibt. Bei Hausbesuchen hängen oft Urlaubsbilder an der Wand – aber wenn eine Pflegesituation eingetreten ist, denkt keiner mehr ans Reisen, obwohl eine Auszeit für alle dringend notwendig wäre.

Um das zu ändern, habe ich zunächst eine Reisebörse ins Leben gerufen, bei der Menschen, die in der Pflegeberatung tätig sind, sich über die Reisemöglichkeiten für Pflegebedürftige und deren Angehörige informieren konnten. Die Reisebörse lief drei Jahre lang erfolgreich, dann wollte ich mehr – ich wollte permanent Brücken schlagen. 2016 habe ich den Verein Reisemaulwurf gegründet, der seit Februar 2017 die Anerkennung der Gemeinnützigkeit hat. Und der Erfolg gab mir Recht: Der Verein Reisemaulwurf stieß von Anfang an auf großen Zuspruch.

Tun pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen sich denn leicht damit, das Thema Reisen doch wieder zu denken, wenn sie vom Reisemaulwurf hören?

Nein. Viele denken, dass dieser Traum nun ausgeträumt ist und Reisen nicht mehr möglich sind mit Pflegebedürftigkeit. Ich sehe jeden Tag wie belastet Familien oder pflegende Ehepartner und Ehepartnerinnen sind. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, wie selbstverständlich und gerne heute Pflegebedürftige früher gereist sind. Im Beratungsgespräch gilt es darauf einzugehen, Mut zu machen, Fantasie, Träume und Erinnerungen wecken – und schrittweise aufzuzeigen, dass Reisen möglich sind. In der Regel sind die Menschen dann schnell hellhörig – das grundsätzliche Bedürfnis, zu reisen und Auszeit vom Alltag zu erleben, ist immer noch da. Viele freuen sich, wenn ihnen jemand Mut zuspricht: Ja, Sie können noch verreisen – trotz Pflegebedürftigkeit! Deshalb sind persönliche Beratungen in diesem Segment sehr wichtig – und auch, weil die Bedürfnisse so unterschiedlich sind, auch bei gleicher Diagnose.

Es gibt aber auch nicht wenig Familienangehörige, die im Internet nach Angeboten suchen, um zum Beispiel ihren Eltern mit Hilfe- und Pflegebedarf einen Urlaub zu ermöglichen. Das kann allein sein, mit Pflege und Betreuung am Urlaubsort oder in Begleitung der Kinder und weiteren Familienangehörigen.

Einige Menschen sitzen vergnügt auf der Mauer einer Brücke am Strand. André Scholz dabei, ein Rollator steht an der Seite.

Was wünschen pflegebedürftige Menschen sich von der Tourismusbranche? Welche Angebote gibt es bereits, die gut funktionieren, welche fehlen schlicht und einfach noch?

Eigentlich bin ich ja gelernter Koch und habe vor fast 20 Jahren den Diplom-Pflegestudiengang abgeschlossen mit der Idee im Kopf, durch ein eigenes Pflegehotel Gastronomie, Hotellerie und Pflege zu kombinieren. Das eigene Hotel blieb bisher ein Traum, aber einige wenige Vorreiter gibt es mittlerweile bereits. Einen Überblick gibt es auf der Internetseite des Reisemaulwurfs.

Zum Punkt „was noch fehlt”, kann ich dir tatsächlich verschiedenste Beispiele nennen. Viele pflegende Angehörige wünschen sich eine Betreuung für den Pflegebedürftigen, stundenweise oder tagesweise, so wie es sie beispielsweise am Wohnort in einer Tagespflege gibt. Solche Angebote gibt es kaum.

Oft wird auch ein Haustürservice nachgefragt, da viele ältere pflegende Angehörige nicht mehr Auto fahren und die An- und Abreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht möglich ist. Das ist ein extrem großes Hindernis, da individuelle Fahrdienstleistungen häufig kostspielig sind.

In etwa der Hälfte der Reiseberatungen geht es um Pflege am Urlaubort. Das hängt mit dem Alter, der Diagnose und dem Pflegegrad des Pflegebedürftigen zusammen. Leider fehlt es hier an der Zusammenarbeit zwischen Tourismus (Hotel) und Pflege (Pflegedienst am Urlaubsort). Zunehmend fehlen aber schlichtweg die Kapazitäten der Pflegedienste, um Leistungen im Hotel oder Ferienwohnung anbieten zu können – Stichwort massiver Personalmangel.

Schwierig ist es geeignete Angebote zu finden. Für unsere Recherche ist die Datenbank „Reisen für Alle” sehr hilfreich, aber nicht jeder Anbieter ist in der Datenbank. Die Bereitschaft, Pflegebedürftige und deren pflegende Angehörige anzusprechen, ist oft nicht sehr hoch, dabei steckt darin so viel Potenzial! Ein gutes Angebot kann außerdem nur gefunden werden, wenn es entsprechend kommuniziert wird.

Ein weiterer Punkt: Das Personal im Tourismus muss für diese Zielgruppe speziell geschult sein. Sie müssen wissen, welches Verhalten bei welchem Gast erforderlich ist und wie sie Umgang und Kommunikation gestalten.

Du hast auch davon gesprochen, dass du Brücken zum Tourismus baust. Wie kann die Tourismusbranche vom Reisemaulwurf profitieren?

Zunächst lass mich an dieser Stelle noch einmal betonen, dass es noch viel zu wenig Angebote für die etwa 4,5 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland gibt. Bis 2030 sollen es sogar bis zu 5 Millionen werden. Der Markt und die Nachfrage wachsen stetig – ich bin kein Wirtschaftsexperte, aber die Chance, diesen Menschen eine Perspektive auf Erholung zu bieten, sollte man nicht verpassen und den demografischen Wandel nicht ignorieren.

Die Tourismusbranche kann durch uns dabei auf verschiedene Arten profitieren. Zum einen fungiert der Reisemaulwurf als Schnittstelle zwischen Tourismus und Pflege. Wir haben ein riesiges Netzwerk mit Kontakten in Kommunen, Ämtern, Vereinen und Verbänden. Gemeinsames Auftreten und Kommunikation, beispielsweise auf Pflegekongressen, können den Grundstein für eine Zusammenarbeit, gegenseitiges Lernen und Produktentwicklung legen. Dafür könnten touristische Anbieter beispielsweise Fördermitglieder im Verein werden und werden dann auch auf der Internetseite präsentiert. Reinschauen lohnt sich!

Darüber hinaus können touristische Anbieter von meinem Fachwissen profitieren: Ich kann Screenings und Assessments für die Zielgruppe durchführen, als Ansprechpartner für individuelle Fragen von Gästen dienen und als Berater für touristische Unternehmungen gebucht werden.

Denn eines steht fest: Die Vision „Reisen für alle” können wir nur verwirklichen, wenn wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen.

Lieber André, vielen Dank für das Gespräch und Dein großes Engagement!

Zur Internetseite des Reisemaulwurfs

tour de sens – der inklusive Veranstalter, der Augen öffnet

tour de sens - der inklusive Veranstalter, der Augen öffnet

Mit blinden Menschen unterwegs zu sein, verändert die eigene Perspektive. Davon sind Johanna und Laura Kutter überzeugt, als sie vor 10 Jahren den Reiseveranstalter „tour de sens“ gründen. Ich teile diese Erfahrung und freue mich jedes Mal, wenn ich eine der tour de sens-Reisen leiten darf. So zum Beispiel Mitte Juli in Oberfranken.

Aber von vorne. Was ist das Besondere an tour de sens?

Tour de sens veranstaltet Reisen für blinde, sehbehinderte und sehende Menschen, und zwar Wander- oder Studienreisen in Gruppen, in denen alle profitieren: Blinde und sehbehinderte Gäste profitieren von besonders auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Reisen, samt Begleitperson sofern erforderlich. Sehende Gäste profitieren von intensiven Reiseerfahrungen, denn wer in Worte fasst, was er sieht, reist bewusster und das Gesehene prägt sich ein. Wer noch nie zuvor direkten Kontakt mit blinden oder sehbehinderten Menschen hatte, wird zusätzlich noch um die Erfahrung reicher, dass eine Sehbehinderung das Reiseverhalten nicht einschränken muss.

Wie vermittelt man „Sehens“würdigkeiten an blinde und sehbehinderte Menschen?

Neben den bereits erwähnten Beschreibungen gibt es tolle Möglichkeiten, die anderen Sinne anzusprechen. Typische Kulinarik verkosten, Düfte einbauen (z.B. im Kräutergarten oder in der Kaffeerösterei) oder Klänge, wobei Musik genauso attraktiv sein kann wie erholsame Stille. Auch der Tastsinn hilft vielen blinden Menschen (Achtung, nicht allen!) bei der Erkundung der Umgebung. Tastmodelle von Städten oder einzelnen Gebäuden können manches veranschaulichen, auch das Erfühlen von Gesteins- oder Stoffproben können informativ sein. Insgesamt fällt schnell auf: vieles von dem, was man speziell für blinde und sehbehinderte Gäste ins Programm nimmt, bereichert auch das Erlebnis für die Sehenden.

Meine augenöffnenden Erlebnisse als Reiseleiterin für tour de sens

Für mich als Reiseleiterin haben die Reisen mit tour de sens einen ganz besonderen Mehrwert. Selten erlebt man so ein angenehmes Gruppengefühl, so ein kommunikatives und offenes Miteinander. Außerdem werden mir tolle Einblicke gewährt in die Welt der blinden und sehbehinderten Menschen, die mir von ihrem Alltag berichten und die ich durch die Begleitung auf Reisen als Freunde auf Augenhöhe gewinne.

Ich erinnere mich an eine interessante Diskussion über eine neue App, die Joghurtbecher zu Hause im Kühlschrank scannt und die Geschmacksrichtung ansagt – einige blinde Gäste fanden das eine tolle Neuerung, andere fanden das total überflüssig nach dem Motto „ich kauf doch eh nur Joghurt, den ich mag, da ist es mir doch egal, ob ich heute den Heidelbeer-Joghurt und morgen das Bircher Müsli esse oder andersrum“. – Hm. Wäre für mich eigentlich nicht egal, aber diesen kleinen Luxus, immer genau zu wissen, was ich esse, hatte ich mir vorher nie bewusst gemacht… Oder die berühmte Frage, was ein blinder Mensch eigentlich träumt – in Paris hatte ich darüber ein tolles Gespräch beim Frühstück.

Durch meine Reiseleitungen für tour de sens sind mir die Bedürfnisse blinder und sehbehinderter Reisender glasklar vor Augen – was auch der Qualität meiner Schulungen zugutekommt. Allerdings wurde mir mit dem Blick aus der Veranstalter-Brille leider auch etwas anderes klar: Der Destinationsbereich, in dem ich mein vorheriges berufliches Leben verbracht hatte, ist für die Zusammenarbeit mit Veranstaltern – vor allem wenn sie spezialisiert sind – oft schlecht aufgestellt. Zuletzt musste ich die Erfahrung machen auf meiner Kurz mal raus-Tour für tour de sens nach Oberfranken. Ich nehme vorab Kontakt auf mit der Tourist-Information in Bamberg und frage nach Tastmodellen in der Stadt und die Antwort lautet: Ja, da hatten wir mal welche und die müssten auch noch da sein…

Was wünscht sich Inhaberin Laura Kutter von der Tourismusbranche?

Laura Kutter würde sich deshalb speziell von Tourist-Infomationen mehr zuverlässige Unterstützung wünschen.

  • In der Tourist-Info muss bekannt sein, ob es Tastmodelle in der Stadt gibt oder besondere Orte, an denen man z.B. durch andere Sinne blinden Menschen den Ort näherbringen kann. Wo gibt es ruhige Orte oder besondere Akustik, Düfte oder Verkostungen auf die Hand – und wo saubere Toiletten?
  • Führungen speziell für blinde und sehbehinderte Menschen buchbar im Programm zu haben, und zwar nicht nur die Standard-Altstadtführung sondern vielleicht auch die Führung „Auf den Spuren lokaler Brauereien“ oder was sonst so im Programm für alle ist, wäre ein weiterer wünschenswerter Vorteil für den Veranstalter. Aktuell macht Laura Kutter viele Führungen einfach selbst, weil sie schon oft die Erfahrung gemacht hat, dass sich das angebotene Programm nicht oder zu wenig an den Bedürfnissen blinder und sehbehinderter Menschen orientierte und Gästeführer*innen keine Informationen über die spezifischen Anforderungen haben, geschweige denn Erfahrungen mit einer blinden- und sehbehindertengerechten Führung gemacht hatten.
  • Bei Programmempfehlungen sollten blinde und sehbehinderte Menschen nicht unterschätzt werden. Wenn nach einem Wanderweg gefragt wird, müssen es nicht ausschließlich asphaltierte Strecken sein. Blinde Menschen können mit unwegigem Gelände genauso umgehen wie mit Steigungen und langen Touren – oder sie kommen aus der Puste, aber das ist bei sehenden Menschen dann genauso häufig der Fall…

Im Hotel steht die bauliche Barrierefreiheit für diese Personengruppe im Hintergrund. Viel wichtiger ist der sensible Umgang des Personals mit den Gästen, die z.B. Unterstützung beim Auffinden des Zimmers benötigen (zumindest beim ersten Gang dorthin) oder am Frühstücksbüffet.

Und Sie, liebe Leserin, lieber Leser?

Wie geht es Ihnen als Touristikerin oder Touristiker mit der Zielgruppe der blinden und sehbehinderten Gäste? Wäre eine Reise mit tour de sens vielleicht auch für Sie hilfreich – beruflich und persönlich? Sie können sich als sehender Gast jederzeit anmelden – auch ohne Vorerfahrungen. Und das Reiseangebot ist soo vielfältig!!

Zum Reiseangebot von tour de sens

Zu Hinweisen zum Umgang mit blinden und sehbehinderten Gästen

Die Website-Reise

In diesem Artikel gibt die Webdesignerin dieser Internetseite Ihnen einen Einblick, wie die Seite www.mosgito.de entstanden ist – mit der Anforderung, möglichst viele Kriterien einer barrierefreien Internetseite nach BITV zu berücksichtigen.

Lesen Sie also die Reise, wie Claudia Wollbrück alias die Online-Agentin sie beschreibt:

Barrierefreier Relaunch

Als Gisela mich fragte, ob ich mir vorstellen kann, Ihr eine neue barrierefreie Seite zu erstellen, dachte ich: Klar, das mache ich. Mein Anspruch war es in meiner Agentur immer, Seiten zu erstellen, die von Suchmaschinen gut ausgelesen werden können und die auch mobil gut funktionieren. Suchmaschinen sind Screenreader – da kann es ja nicht so schwer sein, eine barrierefreie Seite zu verwirklichen. Das mache ich ja im Prinzip jetzt schon irgendwie, dachte ich.

Falsch gedacht, denn es reicht leider nicht, ALT-Texte einzufügen und sich Gedanken um eine sinnvolle und nicht so tiefe Website-Struktur zu machen. Zu digitaler Barrierefreiheit gehört viel mehr, wie ich auf dieser langen Reise feststellen musste. 

Wir fingen also im Sommer 2021 an, die Seite neu zu denken. Ein dreiviertel Jahr später sind wir fertig – die Seite ist online. Nicht 100% barrierefrei, wie wir es uns gewünscht hatten, aber dennoch so barrierefrei, wie es uns möglich war. Ich bin glücklich, diesen Weg gegangen zu sein, denn wir haben unglaublich viel gelernt und Gisela hat mich mit diesem Projekt für einen neuen Weg zu digitaler Barrierefreiheit gewonnen, den ich zukünftig beschreiten werde.

Designüberlegungen

Der Aufbau der Seite sollte klar und übersichtlich sein. Die Menütiefe nicht zu tief. Es sollte auf den ersten Blick klar werden, wo welche Info zu finden ist. Alle vertiefenden Informationen, die nicht direkt zu den Hauptmenüpunkten zählen, finden sich im Blogbereich „Einblicke“ wieder. 

Mit den Kontrastanforderungen bei der Farbauswahl hatten wir uns recht schnell vertraut gemacht und auch die Anforderungen an Fotos waren uns bewusst. Um eine Abgrenzung und eine persönliche Note zu schaffen, haben wir eine Illustratorin ins Boot geholt, die die Hauptmotive illustriert hat. Das macht ähnlich wie bei einem Foto einen guten ALT-Text notwendig. Die Text-Bild-Illustration im Bereich Leistungen ist schwierig, da sie im Bild Texte integriert und damit möglicherweise für blinde oder sehbehinderte Menschen Informationen verloren gehen. Das kann man mit einem guten ALT-Text umgehen oder indem man das Bild für Screenreader unsichtbar macht. Bei der Schriftart setzten wir auf gute Lesbarkeit ohne Serifen und eine große Schriftgröße.

Technische Überlegungen

Ich dachte am Anfang, ich nutze ein barrierefreies WordPress-Template und ein Kontrast-Plugin und dann habe ich das Thema erledigt. Aber auch barrierefreie Templates haben ihre Tücken und müssen u.U. angepasst werden. WordPress selbst ist nicht 100% barrierefrei, wie sich bei unserem Test durch die Pfennigparade herausstellte. Aber dazu später mehr. Ich suchte also ein barrierefreies Template, das tastatursteuerbar ist und das sauber programmiert wurde. Beim Einpflegen der Inhalte achteten wir darauf, das Design auch in einer hohen Vergrößerung (mobile Ansicht) zu entwickeln und z.B. die Schriftgrößen so anzugeben, dass Sie skalierbar sind. Gisela wünschte sich eine Website, die für alle gleichermaßen zugänglich ist, ob sehbehinderte Menschen oder Rentner, die von assistiven Technologien noch nie etwas gehört haben. Daher installierte ich ein Barrierefreiheitsplugin, das die Kontraste erhöhen und die Schrift vergrößern konnte. Dieses Plugin hat neben dem Kalenderplugin die meisten Fehler in der BITV-Prüfung erzeugt und musste daher deinstalliert werden. Die Kontraste haben wir mit Kontrast-Tools geprüft und mittlerweile hoffentlich alle Kontraste so eingestellt, dass sie passen. Daher haben wir aktuell auf entsprechende Hilfsmittel verzichtet. Die Schriftvergrößerung haben wir dennoch umgesetzt – sie ist allerdings nun ins Menü gewandert, wo sie vom logischen Aufbau her auch am ehesten hingehört (vorher war sie in einer Art Sidebar an der rechten Seite). Eine Schwierigkeit, die wir auch nicht ganz lösen konnten, ist der Terminkalender. Es gibt für WordPress keine 100% barrierefreien Kalenderplugins. Bei der Recherche fand ich eines, das auf Nachfrage von sich behauptete: Ja, wir sind WCAG-konform. Leider wurde hier durch die Prüfung der Pfennigparade das Gegenteil bewiesen und wir sind auf einen anderen Kalender umgestiegen. Hier mussten wir eine schwere Entscheidung zwischen Design und Barrierefreiheit treffen, denn der „alte“ Kalender war toll designt und optisch ein echter Hingucker. Auch die Bedienung war intuitiver. Leider war er für assistive Technologien überhaupt nicht nutzbar. Der „neue“ Kalender ist zwar auch nicht 100% barrierefrei, aber er ist gut einstellbar und hat sehr aktive, offene Entwickler, die hoffentlich einige Anregungen umsetzen. Vielleicht schafft die Nachfrage und Aufmerksamkeit auf dieses Thema ja auch ein höheres Bewusstsein bei den Plugin-Entwicklern.

Abschreckend ist die Definition von Barrierefreiheit, wenn wir sie als das eine große Ziel betrachten. Einfacher wird es, wenn wir dieses Ziel in kleinere Einheiten zerlegen. Unser Angebot ist noch nicht für alle Menschen barrierefrei? Mit Sicherheit gibt es aber Personengruppen, für die wir bereits alle Barrieren aus dem Weg geschafft haben.

BITV-Test

Im Januar hatten wir die Seite soweit fertig gestellt, dass wir sie bei der Pfennigparade zur Prüfung anmelden konnten. Das Ergebnis war echt niederschmetternd. Wir hatten so viele „Fehler“, dass ich kurz dachte, wir schaffen das nicht. Auf den zweiten Blick stellte sich dann heraus, dass man die Prüfungsfehler in 4 Kategorien einteilen konnte: 40% Fehler durch das Plugin für Barrierefreiheit, 40% durch das Kalenderplugin, 10% die ich dazugelernt habe… und ca. 10% die an der Programmierung des Templates oder an WordPress lag. Mit der Deaktivierung von zwei Plugins hatten wir also 80% der Fehler abgestellt. Wunderbar. 😊

Nach dem Test haben wir die Ergebnisse mit der Pfennigparade und dann auch nochmal intern besprochen und entschieden, was uns wichtig ist und was wir vernachlässigen können/müssen. Uns fiel auch auf, dass Barrierefreiheit immer auch eine subjektive Komponente in sich birgt. Was der eine gut umgesetzt findet, findet der andere ungünstig. Was die eine bevorzugt, kann die andere vielleicht nicht nachvollziehen.

Einige Dinge lassen sich in WordPress nicht oder nur mit tiefgreifender Programmierung ändern. Andere Dinge mussten wir abwägen: Design vs. Barrierefreiheit. Die Pfennigparade hat uns aber auch bestätigt, dass es oftmals diese Abwägung braucht und dass es nach aktuellem Stand keine 100%ige digitale Barrierefreiheit gibt. Das ist einerseits ernüchternd und andererseits auch Ansporn, das Thema anzugehen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen.

Mein Fazit der gemeinsamen Reise:

Ich bin sehr froh, dass wir diese schöne Seite zusammen umgesetzt haben, denn ich durfte sehr viel lernen auf dem Weg zur digitalen Barrierefreiheit. Heute frage ich mich, warum das Thema so lange gebraucht hat, auf meinem Radar zu erscheinen. Es ist einfach schade, dass dieses Informationstool, das wir so selbstverständlich nutzen, nicht für alle Menschen gleichermaßen zugänglich ist. Dabei ist es technisch gut umsetzbar, wenn man sich wirklich mit dem Thema auseinandersetzt. 

Daraus ziehe ich mein Fazit und eine neue Motivation: Ich möchte anderen auf ihrem Weg in die digitale Barrierefreiheit helfen, damit das Internet für alle gleichermaßen zugänglich ist. Gisela hat mit ihrer Anfrage sozusagen die Tür geöffnet zu einem neuen Blickwinkel und einer neuen Aufgabe. Danke Dir!

Einfach anfangen

Oft erscheint es sehr schwierig, ein Angebot „barrierefrei“ zu gestalten. Viele von uns schreckt das ab – wir fangen erst gar nicht an, uns um Barrierefreiheit zu bemühen. Dabei ist es eigentlich gar nicht so schwer…

Wann ist mein Angebot „barrierefrei“?

Barrierefreiheit ist ein Begriff, hinter dem eine feste Definition steht. Laut Behindertengleichstellungsgesetz gilt ein Angebot als barrierefrei, wenn jeder Mensch es nutzen kann – unabhängig davon, wie dieser Mensch geistig oder körperlich beschaffen ist. Es geht beim Thema Barrierefreiheit also in erster Linie um Teilhabe, idealerweise um Inklusion. Inklusion von Menschen, die bisher ausgegrenzt wurden. Man denkt direkt an Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer sowie seh-, hör- oder lernbehinderte Menschen. Sie stoßen an Grenzen, an Barrieren – und diese sollen wir als touristische Anbieter beseitigen.

Abschreckend ist die Definition von Barrierefreiheit, wenn wir sie als das eine große Ziel betrachten. Einfacher wird es, wenn wir dieses Ziel in kleinere Einheiten zerlegen. Unser Angebot ist noch nicht für alle Menschen barrierefrei? Mit Sicherheit gibt es aber Personengruppen, für die wir bereits alle Barrieren aus dem Weg geschafft haben.

Wichtig ist die Erkenntnis: Nicht alle Menschen brauchen die gleiche Barrierefreiheit.  

Ältere Menschen freuen sich vermutlich über Toiletten im Erdgeschoss, brauchen aber nicht zwangsläufig eine DIN-konforme barrierefreie Toilette. Selbst Stufen – die am häufigsten genannte „Barriere“ von Architekten und Tourismusakteuren am Beginn des Weges zur Barrierefreiheit – bereiten nicht allen Menschen, sondern hauptsächlich denjenigen Schwierigkeiten, die mit Rädern unterwegs sind. Blinde Menschen nehmen sogar oft lieber die Treppen als den Aufzug, um wirklich sicher zu gehen, in welchem Stockwerk sie landen.

Barrierefreiheit ist individuell – und mit einfachen Schritten zu erreichen

Was wir als Tourismusakteure aus diesen Überlegungen lernen sollten, ist vor allem die Tatsache, dass Barrierefreiheit individuell ist. Jede Maßnahme, die wir im Sinne der Barrierefreiheit unternehmen, macht unser Angebot vielleicht schon für eine Personengruppe zu einem „barrierefreien“ Angebot. Dabei muss die Maßnahme kein kompletter Umbau sein! Auch einfache Maßnahmen können eine große Wirkung haben.

Während wir an Aufzüge oder Rampen als die „barrierefreie“ Alternative zu Treppen denken, reicht für einen Menschen mit unsicherem Gang vielleicht bereits ein Handlauf, um sicher nach oben zu gelangen.

Vielleicht nimmt uns dieses Beispiel die Angst davor, unser komplettes Angebot auf den Kopf stellen zu müssen. Glauben Sie mir: Jeder Schritt auf dem Weg zur Barrierefreiheit ist bereits nützlich. Deshalb mein Tipp:

Fangen Sie einfach an!

Und: Fangen Sie einfach an.

Aber: Hören Sie nie auf. – Das Ziel des Weges ist und bleibt die Barrierefreiheit für Alle.

Noch mehr Tipps bitte!

Weitere „einfache Maßnahmen“ – mit wenig Aufwand viel erreichen – finden Sie zum Beispiel im Leitfaden “Einfach barrierefrei” für die hessischen Tourismusbranche.

Komfort durch Barrierefreiheit

Seit vielen Jahren wird über Barrierefreiheit im Tourismus als Komfort „für Alle“ gesprochen – und trotzdem wird das Thema immer noch so behandelt, als beträfe es nur eine Minderheit. Dabei birgt das Thema so viel Potenzial …

Für wen machen wir unsere touristischen Angebote barrierefrei?

Primär geht es beim Stichwort „Barrierefreiheit im Tourismus“ um Menschen mit Behinderung. Menschen im Rollstuhl, blinde und sehbehinderte Menschen, gehörlose und schwerhörige Menschen, Menschen mit Lernbehinderung. Aber bereits wenn wir an ältere Menschen denken fällt auf, dass wir sie gar nicht unbedingt vollkommen separat von diesen Personengruppen betrachten können. Viele ältere Menschen sind schwerhörig, nicht mehr mobil, sehen schlecht, … Geht es nicht also auch um sie? Wenn ja, dann wäre die Anzahl der Menschen, für die wir Angebote barrierefrei gestalten, um ein Vielfaches höher als es der erste Blick vermuten lässt. Und an Eltern mit Kinderwagen, kleinwüchsige oder übergewichtige Menschen haben wir jetzt noch gar nicht gedacht…

Wer Barrierefreiheit braucht – und wer davon profitiert

Wir können differenzieren zwischen Menschen, die Barrierefreiheit brauchen, um überhaupt am Leben und am Reisen teilhaben zu können, und Menschen, die Barrierefreiheit schätzen, weil sie dadurch komfortabler leben und reisen können. Wenn wir nun aber beginnen zu überlegen, wer zu welcher Gruppe gehört, merken wir nicht nur, dass uns viele dieser Personen sehr vertraut sind, sondern vielleicht sogar, dass wir selbst auch dabei sind. Wer freut sich denn nicht über einen Aufzug im Hotel, so dass er seinen Koffer nicht die Treppe hochtragen muss? Wer ist nicht schon einmal über eine Stufe gestolpert, die schlecht beleuchtet und nicht kontrastreich markiert war? Und wer war noch nicht unterwegs an einem unbekannten Ort und ist schier verzweifelt, weil der Weg zur nächsten Toilette einfach zu weit war?

Barrierefreiheit schafft Komfort

Es ist unumstritten: Maßnahmen, die Barrieren abbauen, schaffen automatisch einen Komfort für alle Gäste. Und diesen Komfort wissen immer mehr Gäste zu schätzen. Weil unsere Gesellschaft altert und auch unsere Stammgäste jedes Jahr ein Jahr älter werden. Weil wir unsere Mitmenschen immer mehr als Individuen sehen und zum Glück akzeptieren, dass jede und jeder eigene Ansichten und Bedürfnisse hat. Weil es in anderen Ländern bereits normal ist, dass auf jedes dieser Bedürfnisse eingegangen wird. Und weil es das Reisen einfach viel schöner macht!

Der Unterschied: „Barrierefreiheit“ vs. „Komfort“

Warum aber ist das Thema „Barrierefreiheit“ immer noch so unattraktiv, wenn wir doch eigentlich alle einen Vorteil davon haben? Das Problem ist der Begriff. Ja, wir profitieren von Barrierefreiheit, aber das wollen wir leider nicht hören – zumindest nicht in dieser Form.

Ein älterer Mensch sucht nicht nach Informationen zur „Barrierefreiheit“ – diesen Begriff verbindet er mit Behinderung und als behindert sieht er sich selbst in der Regel nicht. Die Information, dass eine Stadtführung mit Hörverstärkung stattfinden kann oder dass es Parkplätze direkt vor dem Restaurant gibt, interessiert ihn aber durchaus. Vielleicht liest er sie, wenn sie direkt in der Angebotsbeschreibung oder in einen Reiter „Komfortmerkmale“ verpackt sind, und nicht unter „Informationen zur Barrierefreiheit“?

Eine große Aufgabe für unsere Vermarktung – aber eine, die sich lohnt. Den so erreichen wir die breite Masse, um nicht zu sagen: Alle.

Die Erkenntnis: Barrierefreiheit schafft Komfort – und muss ansprechend kommuniziert werden

Komfort kann also durch Barrierefreiheit erreicht werden, wird aber am besten nicht als solche verkauft… Nein, Stopp! Es gibt sie ja dennoch, die Menschen, die Barrierefreiheit suchen, weil sie sie unbedingt brauchen. Für Menschen mit Behinderung im engeren Sinne dürfen wir unser Marketing noch nicht ganz umkrempeln – sie klicken weg, wenn sie das Stichwort „barrierefrei“ nicht irgendwo lesen…

Für mich persönlich sind diese Menschen der Antrieb meiner Arbeit. Ich kämpfe für Barrierefreiheit im engen Sinne, für die Teilhabe aller Menschen. Viele dieser Menschen kenne ich so gut, dass der Umgang mit ihnen meine Normalität ist.

Meine Kunden aber erreiche ich gerne über das Stichwort Komfort und über das Bild der Gäste in ihrem Kopf, die sie gut kennen – weil sie aktuell schon da sind, aber sich künftig mehr Komfort wünschen. Gerne begleite ich sie auf dem Weg zu mehr Komfort – Komfort durch Barrierefreiheit.

Bedürfnisse autistischer Menschen berücksichtigen

Was brauchen autistische Menschen, um sich bei uns als Gäste wohlzufühlen? Die “Stille Stunde” in einem Schweizer Supermarkt sieht unter anderem so aus:

  • keine Musik
  • keine Lautsprecherdurchsagen
  • gedimmtes Licht
  • Assistenzhunde willkommen
  • Angestellte tragen Warnwesten
  • Angabe der Temperaturunterschiede im Markt

Vielleicht sind da Anregungen für uns als Gastgeberinnen und Gastgeber dabei? Gerne weiterdenken!
Interessant finde ich ja: Auch diese Aktion wird nicht nur von denjenigen gut angenommen, für die sie gedacht war, sondern sie ist auch für viele andere komfortabel – wie so oft!

Zum Artikel über die “Stille Stunde”

Zwei Hände halten das Modell einer Kirche

tour de sens erstellt Tastmodelle für blinde Gäste

Zwei Hände halten das Modell einer Kirche

Als inklusiver Reiseveranstalter, der sich auf Reisen für blinde, sehbehinderte und sehende Menschen spezialisiert hat, kennt sich “tour de sens” wohl wie kaum ein anderer mit Führungen für blinde Menschen aus. Beliebt bei vielen blinden Menschen sind Tastobjekte – man erschließt sich Gebäude, Straßenzüge aber auch die Natur gerne mit den Händen. tour de sens erstellt deshalb seit einigen Jahren eigene Tastmodelle mit Hilfe des 3-D-Drucks. Die Technik ist mittlerweile ausgereift und durch die Erfahrungen auf den hauseigenen Reisen das Verfahren optimiert – nun bietet tour de sens die Erstellung von Tastmodellen auch als Leistung für die Tourismusbranche an.

Sie sind Gästeführer*in und möchten das Highlight Ihrer Stadt oder Region für blinde Gäste erlebbar machen? Oder möchten Sie in der Tourist-Info Tastmodelle bereithalten? Tastmodelle aus dem 3-D-Drucker sind leicht und können beispielsweise zu Führungen gut mitgenommen werden. Gleichzeitig liegen die kleinen Größen zum Tasten optimal in der Hand. Es können sowohl Gebäude als auch topographische Besonderheiten dargestellt werden.

Infos zur Erstellung von Tastmodellen in 3-D-Druck durch tour de sens

Foto: tour de sens

Ein junger Mann auf Reisen hält einen weißen Ball in der Hand

MosGiTo fragt … Michael R. und Michael K.

MosGiTo fragt …

… Reisende mit Behinderung nach ihren Erfahrungen, Erwartungen und Wünschen an die Reisebranche.

Michael R. und Michael K. geht es so wie zahlreichen Deutschen: Sie verstehen Texte mit langen Sätzen, Fremdwörtern und Fachbegriffen schlicht und einfach nicht. Sie setzen dagegen auf das Konzept der Leichten Sprache, die Ihnen einen Zugang zu Informationen verschafft. Beide Männer reisen unglaublich gerne, aber leider viel zu selten. Warum das so ist und was sie sich von der Tourismusbranche noch wünschen, lesen Sie in diesem Interview.

Das Interview wurde im März 2021 geführt. Es ist nicht in Leichter Sprache verfasst, sondern folgt dem Wortlaut des Gesprächs.


Fahren Sie gerne in Urlaub?

Beide: Ja!


Wohin sind Sie denn schon mal in Urlaub gefahren?

Und wie wählen Sie aus, wohin Sie fahren?

Michael R.:

Ich war schon auf Corfu, das ist in Griechenland.

In der ehemaligen DDR, also in Dresden, Glashütte.

In Holland war ich schon und in Wien…

Bei uns gibt es eine Broschüre, die heißt “Reiselust”.

Wenn ich die Broschüre bekomme, schaue ich sie mir an

und entscheide wo ich hinfahren möchte.

Ich orientiere mich dabei an den Bildern.

Wenn was schön ausschaut, dann möchte ich da hin.

Michael K.:

Ich war zum Beispiel in Hamburg, in Bayern und in Italien.

Nach Frankreich wäre ich gerne, aber das hat dann nicht geklappt.

Ich schaue auch in der Broschüre “Reiselust”.

Aber wenn ich woanders hin will, dann mache ich das auch.

Dann gehe ich zum Beispiel mit einem Betreuer ins Reisebüro.

Ich war so auch schon mal alleine in Köln.

Nach Rügen würde ich gerne mal.

Da war schon mal jemand von meiner Gruppe.

Da würde ich auch gerne hinfahren.


Was machen Sie denn gerne im Urlaub?

Erinnern Sie sich an etwas besonders Schönes im Urlaub?

Michael R.:

Naja einkaufen, zu Veranstaltungen gehen, ins Museum.

Michael K.:

Mit der Rheinbahn fahren,

eine Rundfahrt mit dem Bus machen.

Einen Weihnachtsmarkt besuchen.

Eisenbahn fahren.

Einfach mal abschalten.

 

In Venedig, das war richtig schön.

Weil man das schon oft auf Fotos gesehen hatte.

Und dann war ich da selbst!


Gibt es etwas, was im Urlaub schwierig für Sie ist?

Michael R.:

Da erinnere ich mich an den Urlaub auf Corfu.

Da wollte ich was kaufen in einem Geschäft.

Aber der Verkäufer hat nur englisch gesprochen.

Dann hab ich einfach das Geld auf den Tisch gelegt.

Michael K.:

Manchmal gibt es Herausforderungen im Urlaub.

Wenn ich im Hotel was ausfüllen muss.

Das ist eine Überwindung.

Aber man muss sich auch mal was trauen.


Achten Sie im Urlaub darauf, ob es etwas in Leichter Sprache gibt?*

Michael R.:

Nein, auf Leichte Sprache nicht.

Aber auf Barrierefreiheit schon.

Da achte ich sehr drauf.

Zum Beispiel ob jemand mit dem Rollstuhl rein kommt.

Das fällt mir schon auf.

Michael K.:

Eigentlich nicht.

Könnte man aber ja mal.


Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!

*Anmerkungen zu den Antworten auf diese Frage:

Es ist spannend zu sehen, dass die beiden Männer, die Mitglied einer Prüfgruppe für Leichte Sprache sind, d.h. dieses Sprachkonzept sehr gut kennen, im Urlaub dennoch nicht darauf achten. Ich schließe daraus, dass wir als Tourismusbranche noch viel mehr in Vorleistung gehen müssen – erst wenn Angebote in Leichter Sprache tatsächlich vorhanden sind, lohnt es sich für die Nutzer von Leichter Sprache danach zu fragen.

Die Anmerkung zur Barrierefreiheit – dass Herr R. darauf achtet, ob ein Rollstuhlfahrer rein kommt – rührt sicherlich daher, dass die Reisen, die Herr R. unternimmt, für Menschen mit Behinderung ausgeschrieben sind und dann eben nicht nur Leichte-Sprache-Nutzer unter sich verreisen, sondern auch Menschen mit anderen Beeinträchtigungen. Bemerkenswert ist, dass die Bedürfnisse dieser Menschen ja vollkommen unterschiedlich sind – und dennoch wird gemeinsam verreist. Könnten wir also nicht alle auch mit Menschen mit Behinderung verreisen, wenn wir gegenseitig Rücksicht aufeinander nehmen würden??